Schattensturm - Druidenchronik Bd.2 by Andreas Saumweber

Schattensturm - Druidenchronik Bd.2 by Andreas Saumweber

Autor:Andreas Saumweber
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau Verlag


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KEELIN

Glen Affric, Schottland

Samstag, 26. Juni 1999

Die Innenwelt

Großer Adler des Glens,

Herr der Himmel,

ewiger Wächter,

hab Dank für Schutz und Sicherheit.

Nimm mich unter Deine Schwingen,

behüte und bewahre mich,

jetzt und für immer.

Es kostete Keelin immer noch Überwindung, am Ende des Gebets kein Amen zu sagen. Sie lächelte und öffnete die Augen.

Càrn Crann Daraich, die Gipfel-Eiche, ragte vor ihr aus dem Felsen, windschief und krumm und trotzdem stark und mächtig. Der borkige Stamm, dicker als ein Mann groß und dicht mit Moos bewachsen, war auf die ersten Meter stark talwärts gebeugt, bevor er sich langsam in den Himmel richtete und dort eine unregelmäßige Krone ausbildete. In keinem Eichenwald würde ein Baum wie die Gipfel-Eiche Aufmerksamkeit erregen. Hier jedoch, weit über der Baumgrenze, war sie außergewöhnlich.

Es war das erste Mal, dass Keelin sie im Sommer sah, lebendig und mit Laub an ihren Ästen. Sie verneigte sich kurz vor dem heiligen Baum und stand dann auf. Brynndrech kniete noch immer, mit geschlossenen Augen und sich tonlos bewegenden Lippen. Wie üblich dauerten seine Gebete länger als ihre. Sie überlegte sich kurz, ob wohl noch genügend Zeit war, zu einem der Gipfel hinaufzusteigen, und beschloss, sie sich einfach zu nehmen.

»Ich bin auf dem Mam Sodhail«, erklärte sie. Dann hängte sie sich die Tasche mit dem Buch über die Schulter und wandte sich um, um die restlichen zweihundert Meter zu überwinden. Am Gipfel angekommen setzte sie sich auf einen Felsen und ließ sich den Wind durch die kurzen Haare blasen. Ein Adler kreischte über ihr, eine schwarze Silhouette mit großen, breiten Schwingen vor einem weißbewölkten Himmel. Keelin lächelte. Danke, dass Du mich erhört hast. Sie winkte dem Vogel kurz zu. Er kreischte noch einmal, bevor er mit ein paar Flügelschlägen weiter nach Süden abdriftete.

Die Gipfel-Eiche wuchs knapp unterhalb eines Felsensattels, der sich zwischen Mam Sodhail und Càrn Eighe aufspannte. Von hier oben schien sie klein und unscheinbar, ganz wie der Rest der Welt. Ein Meer aus Bergkämmen und Gipfeln und Tälern umgab sie, mit Ausnahme des Càrn Eighes allesamt niedriger als der Mam Sodheil. Ihre Sicht war in alle Richtungen frei und unbehindert. Sie sah weit nach Norden, tief in die Highlands, wo sich weiter Gipfel an Gipfel reihte, soweit das Auge reichte. Aus dem Westen schob der Wind immer weitere weiße Wolkenberge heran. Im Süden wurden die Berge langsam niedriger. Braun, beinahe schwarz spitzte das Loch Affric durch die Vorberge des Mam Sodhails.

»Es ist gut, zu Hause zu sein«, erklärte sie, als sie hinter sich Brynndrechs Stiefel auf dem felsigen Grund knirschen hörte.

»Aber du bist doch nicht von hier«, wunderte sich Brynndrech.

Keelin verzog das Gesicht, als sie an den Hof ihrer Eltern dachte, auf dem sie aufgewachsen war. Schnell verdrängte sie den Gedanken. »Es gibt keinen anderen Ort, den ich zu Hause nennen würde.«

Brynndrech erwiderte nichts darauf. Erst nach einer Weile fragte er: »Ist das ein Adler dort oben?«

Sie wandte sich um, um zu sehen, wohin er deutete. »Ja«, stimmte sie ihm dann zu.

»Ein gutes Zeichen.«

Schweigend genossen sie noch eine Weile den Frieden und die Ruhe auf dem Gipfel. Der Wind frischte auf und zerrte an Keelins Umhang, so dass sie ihn fester um sich zog.



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